100 Gigabyte

Riesiges Datenleck bei Tesla nährt Zweifel an Musks grösstem Versprechen

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von Oliver Wietlisbach, Watson; msc

Whistleblower haben Journalisten rund 100 Gigabyte an mutmasslichen Tesla-Daten zugespielt – darunter sensible Informationen zu Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Das Datenleck wecke Zweifel an der Sicherheit des Autopiloten.

(Source: Blomst / pixabay.com)
(Source: Blomst / pixabay.com)

Was sind die Tesla-Files?

Dem deutschen "Handelsblatt" wurden von mehreren Whistleblowern 100 Gigabyte mutmasslich interner Tesla-Daten zugespielt. Die von Insidern bereitgestellten Dokumente sollen aus dem IT-System des Unternehmens stammen. Sechs Monate lang wertete ein zwölfköpfiges Team Tausende Dokumente und Kundenbeschwerden über Probleme mit Teslas "Autopilot" aus. In den Tesla-Files finden sich zudem vertrauliche Daten zu Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern.

Die Wirtschaftszeitung hat die Recherche am Donnerstagabend in einer Artikelserie auch online veröffentlicht (Paywall).

Was steht in den Tesla-Files?

Laut "Handelsblatt" zeichnen die Daten "das Bild eines Elektroauto-Pioniers, der weit grössere technologische Probleme zu haben scheint als bislang bekannt". Beispielsweise mit seinem "Autopiloten". Demnach finden sich in den Tesla-Files "Tausende Berichte über Komplikationen mit den Fahrassistenzsystemen". Beschwerden etwa, dass die Autos bei voller Fahrt unvermittelt bremsen oder von sich aus beschleunigen. Dabei soll es nebst vielen glimpflichen Unfällen auch solche mit Verletzten und Toten gegeben haben.

Nebst Informationen zu technischen Problemen und Gerichtsverfahren wegen Unfällen zeigten die geleakten Dokumente "Gehälter von 100'000 Mitarbeitenden, Bankverbindungen von Kunden, geheime Details aus der Produktion, sogar die mutmassliche Fahrzeug- und Sozialversicherungsnummer von Tesla-Chef Elon Musk", schreibt die Zeitung.

Die Dokumente offenbarten darüber hinaus einen Konzern, der auf eine Person zugeschnitten sei: Elon Musk. Der Chef scheine "in die kleinsten Dinge involviert zu sein – sei es das Material der Batterieanode oder seien es Türgriffe".

Wie wurden die Daten ausgewertet?

Mehr als ein Dutzend Redaktoren in Deutschland, Japan und den USA beteiligte sich an der Auswertung. Sebastian Matthes, Chefredaktor des "Handelsblatts", schreibt hierzu: "Sechs Monate lang wertete ein zwölfköpfiges Handelsblatt-Team Dateien aus: 1388 PDF-Dokumente, 1015 Excel-Tabellen und 213 Powerpoint-Präsentationen – dazu zahlreiche Bilder, Videos, Audiodateien und E-Mails." Die aktuellsten Dateien datieren aus März 2022.

"Das Handelsblatt hat für diese Veröffentlichung nicht nur Daten analysiert. Unsere Reporterinnen und Reporter haben in Europa und den USA mit aktiven und ehemaligen Tesla-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern gesprochen, Mobilitätsexperten befragt, und sie haben Dutzende Unfallopfer interviewt – oder wenn das nicht mehr ging: deren Hinterbliebene", sagt Sebastian Matthes, Chefredaktor "Handelsblatt".

Sind die Daten echt?

Laut "Handelsblatt" wurden Kunden und Mitarbeiter von Tesla aus mehreren Ländern von der Zeitung kontaktiert. Alle sollen die Informationen, die über sie geleakt wurden, bestätigt haben. Zudem hätten IT-Forensik-Experten des Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) die Daten analysiert und keine Hinweise gefunden, dass "der Datensatz nicht aus IT-Systemen oder dem Umfeld von Tesla stammt". Die Zeitung habe die Whistleblower im Zuge der Recherche auch persönlich getroffen. Den Journalisten seien die Namen, Arbeitsplätze und Wohnorte der Quellen bekannt.

Wie reagiert Tesla?

Tesla will nicht, dass darüber berichtet wird. Die Juristen des Autokonzerns forderten das "Handelsblatt" auf, eine Kopie der Daten zu übermitteln und alle anderen Kopien zu löschen. Die Journalisten hatten Tesla zuvor 65 Fragen zu den Tesla-Files gestellt, auf die das Unternehmen nicht einging.

Teslas Hausjurist teilte mit, man vermute, dass ein ehemaliger Mitarbeiter während seiner Beschäftigung als Servicetechniker seinen Zugang missbraucht und vertrauliche Informationen gestohlen habe. Das Unternehmen kündigte an, rechtliche Schritte einzuleiten.

Was bezwecken die Informanten?

Die Whistleblower wollen laut Eigenaussage auf den laxen Datenschutz bei Tesla aufmerksam machen. Sie behaupten, "dass sie die Daten im Tesla-System abrufen und kopieren konnten, obwohl sie ausserhalb ihrer Zuständigkeit lagen", schreibt das "Handelsblatt". Auch viele andere Mitarbeiter hätten auf sensible Kundendaten Zugriff. Deshalb hätten sie auch deutsche Datenschutzbeauftragte alarmiert. Teslas Autowerk für Europa befindet sich bei Berlin.

Die Zeitung schreibt: "Ob Teslas angeblich zweifelhafter Umgang mit Datenschutz das einzige Motiv der Whistleblower ist, kann das Handelsblatt nicht abschliessend beurteilen. Die Quellen stellten als einzige Bedingung an die Redaktion völlige Anonymität, weil sie Repressalien seitens Tesla fürchten. Es gab keine Bezahlung oder sonstige Gegenleistungen."

Was sind die Konsequenzen?

Laut "Handelsblatt" hat mindestens ein Insider nebst der Zeitung auch die Datenschutzbehörden alarmiert. Die wollen nun ermitteln, "wie genau es Tesla mit der Vertraulichkeit von Daten nimmt".

Die deutschen Datenschutzbehörden sprechen von "ernst zu nehmenden Hinweisen auf mögliche Datenschutzverletzungen". Es gehe um "sensitive Beschäftigtendaten", die "innerhalb des Konzerns sehr weitreichend zugänglich sein könnten". Die Angelegenheit könnte "aus datenschutzrechtlicher Sicht auch wegen der grossen Zahl der weltweit betroffenen Personen besonders schwerwiegend" sein, zitiert die Zeitung die Behörden.

Der Fall sei zudem an die niederländische Datenschutzaufsichtsbehörde weitergeleitet worden. Dort hat Tesla seinen Europasitz.

Wie begründet die Zeitung die Publikation der Tesla-Files?

Tesla verpflichte sich im Hinblick auf den Datenschutz zu höchster Vorsicht. So dürften auf heikle Kundendaten nur Mitarbeiter Zugriff haben, "die nachweislich davon Kenntnis haben müssen", zitiert das "Handelsblatt" eine interne Firmenrichtlinie. Das Datenleck lasse daran Zweifel aufkommen.

Ausserdem deuten die Informationen aus den Tesla-Files darauf hin, dass die Probleme mit dem "Autopiloten" häufiger auftreten könnten als bisher angenommen. Dies gehöre an die Öffentlichkeit, schreibt die Zeitung. Insbesondere darum, weil Firmenchef Musk seit Jahren "grosse Versprechen" zum autonomen Fahren gemacht habe, die Tesla bislang nicht vollständig habe umsetzen können. Schon 2016 habe er erklärt, das autonome Fahren sei "im Wesentlichen ein gelöstes Problem". Die Tesla-Files zeigten ein anderes Bild.

"Unser grosser Report handelt von einem Konzern, der womöglich etwas zu schnell gewachsen ist. Der auf Technologien setzte, die zwar vielversprechend waren, deren Entwicklung aber mit den immer neuen Versprechen des Tech-Visionärs Musk nicht mithalten konnte. Und es ist die Geschichte eines Unternehmens, das offenbar etwas zu lax mit den Daten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umging", sagt "Handelsblatt"-Chefredaktor Sebastian Matthes.

Dieser Beitrag ist zuerst bei "Watson" erschienen.

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