Proton muss keine Daten sammeln

Protonmail gewinnt einen Rechtsstreit gegen den ÜPF

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Ein Entscheid des Dienstes Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs sollte das Genfer Unternehmen Protonmail dazu zwingen, Nutzerdaten zu sammeln und zu speichern. Die Firma wehrte sich und gewann den Rechtsstreit. Der Leiter der Rechtsabteilung des Unternehmens im Interview.

Marc Løebekken, Leiter der Rechtsabteilung von Proton Technologies. (Source: ICTjournal)
Marc Løebekken, Leiter der Rechtsabteilung von Proton Technologies. (Source: ICTjournal)

Das in Genf ansässige Unternehmen Proton Technologies hat einen wichtigen Sieg in einem Rechtsstreit mit dem Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF) errungen. Wie "Reuters" berichtet, billigte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von Protonmail und ProtonVPN gegen die ÜPF.

Im Oktober 2020 rekurrierte das Unternehmen nämlich gegen einen Entscheid der ÜPF, welche ihm im September 2020 den Status als Fernmeldedienstanbieter entzogen hatte. Protonmail galt infolgedessen als ein Telekommunikationsanbieter. Diese unterliegen normalerweise anderen Anforderungen bezüglich Datenspeicherung. Damit wollte sich Protonmail nicht abfinden, denn ein solcher Status lasse sich nicht mit den Datenschutzversprechen des Unternehmens vereinbaren: Daten sollen nicht gesammelt oder gespeichert werden.

Es muss eine neue Entscheidung getroffen werden

Das Bundesverwaltungsgericht stimmt Proton zu: E-Mail-Dienste könnten in der Schweiz nicht als Telekommunikationsanbieter angesehen werden. Der Widerruf der ÜPF wurde aufgehoben und der Bundesdienst wird den Fall erneut prüfen und eine neue Entscheidung treffen müssen.

Zur Erinnerung: Protonmail war Anfang September 2021 in die Kritik geraten, weil es IP-Adressen von Klimaaktivisten über die Schweizer Justizbehörden an die französische Polizei weitergegeben hatte. Das Unternehmen verteidigte sich mit dem Hinweis, dass es standardmässig keine IP-Adressen sammelt, sondern nur im Falle einer bestimmten gesetzlichen Anordnung. Und Protonmail erinnerte daran, dass das schweizerische Recht sie dazu verpflichten kann, bei besonders schweren Straftaten Informationen zu sammeln.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der "Affäre" um die von Proton zur Verfügung gestellten IPs und dem Entscheid des ÜPF? Wie geht es mit dem Rechtsstreit zwischen Proton und dem ÜPF weiter? Marc Løebekken, Leiter der Rechtsabteilung von Proton Technologies, gab dem "ICTjournal" einen Einblick.

Ist Proton von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts überrascht?

Wir waren von der Entscheidung über die Einstufung nicht überrascht. Wir waren bereits davon überzeugt, dass das Gesetz in dieser Hinsicht falsch angewendet wurde, und die jüngsten Entwicklungen - vor allem das Threema-Urteil - schienen diese Überzeugung eindeutig zu bestätigen.

Mussten Sie vor einigen Monaten die IP-Adressen französischer Klimaaktivisten herausgeben, weil die ÜPF die begrenzten Überwachungspflichten von Proton im September 2020 aufgehoben hat?

Nein, diese beiden Themen sind unabhängig voneinander. Der von uns eingelegte Widerspruch hatte eine aufschiebende Wirkung, so dass wir keine konkreten Vorgaben aus der Entscheidung erfüllen mussten. Der von Ihnen erwähnte Fall stand tatsächlich im Zusammenhang mit einem Rechtshilfeersuchen der französischen Behörden, das von den Schweizer Behörden ausgeführt wurde und dessen Ergebnis unabhängig von der fraglichen Entscheidung dasselbe gewesen wäre.

Die Berufung, die Sie gewonnen haben, ist ein erster Schritt. Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, wie stehen Sie zu den Anträgen der Schweizer Justizbehörden zur Herausgabe von IP-Adressen?

Wir gehen davon aus, dass diese neue Entscheidung auch andere rechtliche Fragen aufwirft, die es zu klären gilt. Wir sind unseren gesetzlichen Verpflichtungen stets nachgekommen und haben in den meisten Fällen festgestellt, dass die Schweizer Behörden ihre Arbeit ordnungsgemäss erledigt haben. Wir haben jedoch auch Ausnahmen in Form von ungerechtfertigten oder unangemessenen Anordnungen feststellen können und diese so schnell wie möglich angefochten. Insgesamt kämpfen wir nicht nur gegen die willkürliche Vorratsspeicherung von Sekundärdaten, sondern auch dafür, dass die Anbieter mehr Sichtbarkeit und eine aktivere Rolle in diesem Prozess erhalten.

Sind Sie derzeit nur in extremen Kriminalfällen zur Datenübermittlung verpflichtet?

In Artikel 269 Absatz 2 der Strafprozessordnung sind die Straftaten aufgeführt, für die Daten von unserem Unternehmen angefordert werden können. Auch wenn die Liste selbst kritisiert werden kann, handelt es sich im Prinzip um schwere Verstösse.

Glauben Sie, dass die Chancen gut stehen, dass die endgültige Entscheidung des ÜPF zugunsten von Proton ausfallen wird?

Das Gesetz, wie es der ÜPF derzeit umzusetzen versucht, widerspricht allen Urteilen, die von unseren europäischen Nachbarn seit 2014 gefällt und kürzlich im Jahr 2020 bestätigt wurden. Der schweizerische Rechtsrahmen in diesem Bereich ist unzureichend und würde bei strikter Durchsetzung die Technologiebranche stark benachteiligen, während er bei der Behebung von Verstössen nur zu sehr wenigen Ergebnissen führt. Die laufende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zeigt, dass es hier zu ernsthaften rechtlichen Problemen kommt. Wir glauben, dass die Schweizer Behörden irgendwann erkennen, dass etwas getan werden muss, und deshalb sind wir zuversichtlich, dass dieses Problem gelöst wird.

Übrigens wurde kürzlich der Erfinder des Internets zum Beirat bei Proton. Erfahren Sie hier mehr dazu.

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