Editorial

Sind Sie noch immer schlauer als ein Chatbot?

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von Coen Kaat
Coen Kaat, stv. Chefredaktor IT-Markt und SwissCybersecurity.net
Coen Kaat, stv. Chefredaktor IT-Markt und SwissCybersecurity.net

Vor rund drei Jahren habe ich einen Beitrag geschrieben mit dem Titel: "Sind Sie schlauer als ein Chatbot?" Damals ging es um ein Onlinespiel namens "Bot or not". Der Spieler beziehungsweise die Spielerin soll in einem Dialog herausfinden, ob er oder sie gerade mit einem Menschen oder einem Chatbot spricht − eine Art spielerischer Turing-Test.

Im November des vergangenen Jahres gewann dieses Thema wieder an Relevanz: OpenAI veröffentlichte ChatGPT - einen fortschrittlichen Chatbot, der das Potenzial von Machine Learning nutzt. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Viele lobten die Vorteile; einige mahnten vor den Risiken der künstlichen Intelligenz (mehr dazu, was ChatGPT für die Security bedeutet, lesen Sie hier).

Die Befürchtung liegt nahe, dass Cyberkriminelle ChatGPT etwa nutzen werden, um reale Personen auf Social Media und Dating-Apps zu imitieren und so andere in die Irre zu führen. Die Frage: "Woran erkennt man eine KI, wenn man mit ihr spricht?", könnte bald zu den Cyber-Grundkenntnissen gehören. Diese Frage stellte ich mir bereits vor drei Jahren bei "Bot or not". Damals war es noch sehr viel einfacher. Wenn man sich etwa auf vorherige Nachrichten bezog, konnte man die KI überlisten. ChatGPT ist jedoch deutlich schlauer als "Bot or not". Die Methode funktionierte jedoch auch bei ChatGPT. Mein Nachhaken interpretierte die KI zwar noch richtig. Als ich sie jedoch fragte, was meine ersten Worte zu ihr waren, nannte sie einen komplett fremden Gesprächsverlauf. Mit dieser Methode des Referenzierens auf den Beginn des Gesprächs kann man also Chatbots oder vergessliche Personen entlarven - aber wohl nur vorläufig. Auf den bisherigen Chatverlauf zuzugreifen, sollte für ein so fortschrittliches Werkzeug ja keine allzu grosse Hürde darstellen.

Vielleicht stellen wir uns die falsche Frage. Vielleicht sind wir an dem Punkt angekommen, an dem es einfacher ist, den Menschen und nicht die KI zu erkennen. Was uns fehlt, ist der Voight-Kampff-Test - bekannt aus dem Film "Blade Runner" von Ridley Scott aus dem Jahr 1982. Der Test soll eine emotionale Reaktion auslösen. Wenn sich Mensch und Maschine im Denkvermögen nicht mehr unterscheiden, wird die Fähigkeit, zu empfinden, entscheidend.

Vielleicht funktioniert es ja, das virtuelle Gegenüber mit einer unpassenden Frage zu verdutzen, wenn man an dessen Echtheit zweifelt. "Hallo, wie geht es dir?" - "Gut, danke. Was ist deine Lieblingsfarbe?" - "Rot. Nach wie vielen Tagen brach Hitler seinen Russlandfeldzug ab?" Erhält man kommentarlos die korrekte Antwort, spricht man wohl mit einem Bot - oder einem Geschichtsprofessor. Die meisten Menschen würden aber wohl fragen, was das Ganze soll. Jetzt muss es nur noch sozial akzeptabel werden, sich in Chatnachrichten zu schockieren, sonst heisst das nächste Spiel: "Bot or offended".

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GTrVYG9z

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